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Orchestrionfabrik Gebr. Weber

Waldkircher Orchestrionfabrik Gebrüder Weber
Von Dr. Herbert Jüttermann

Das Salonorchester

Die gehobeneren Kaffeehäuser des 19. Jahrhunderts wollten ihren Gästen nicht nur duftenden Kaffee und geschmackvollen Kuchen anbieten, auch der musikalische Genuss war einbezogen. Ein eigenes kleineres Orchester spielte die neusten Walzer und Unterhaltungsstücke. Schließlich gab es zu jener Zeit weder Grammophon noch Radio, und der Bürger hatte sonst wenig Möglichkeiten, die modernen Musikstücke zu hören. Seit etwa dem Jahre 1830 kamen mehr und mehr die Salonorchester auf. Es waren Ensembles für Unterhaltungsmusik mit drei und mehr Musikern, wobei Violine, Cello und Klavier nicht fehlen sollten. Die Pariser Besetzung bestand aus Klavier, Violine, Cello oder Kontrabass, Flöte oder Kornett und Schlagzeug.
Beliebt war auch die "Wiener Besetzung" mit Klavier zwei Violinen, Cello oder Kontrabass und Schlagzeug. Dabei wurde die obligate Violine vom Stehgeiger gespielt. Ein besonders schöner Klang entstand beim Ergänzen des Klaviers durch ein Harmonium. Mitunter verzichtete man auch ganz auf das Klavier und sah statt dessen nur ein Harmonium vor. Die angegebenen Besetzungen konnten beliebig erweitert werden und die Arrangements waren darauf zugeschnitten; eine Partitur gab es nicht. Bei den kleinen CafÈs bestand sicherlich der Wunsch, ebenfalls ein Salonorchester anzubieten, doch die Einnahmen ließen dies meist nicht zu. Auch mag es bei den größeren CafÈs mit Orchester oft zu Differenzen zwischen dem Kaffeebesitzer und dem Orchester z.B. wegen schlechter Orchester-Besetzung, Veränderung der Spielzeit und der Höhe des Honorars gekommen sein. Nicht selten hörte ein Orchester wegen Meinungsverschiedenheiten von heute auf morgen auf und der CafÈ-Besitzer wusste nicht, wie es an den kommenden Tagen weitergehen sollte. All diese Umstände führten bei ihm zum Wunsche, ein eigenes Orchestrion zu besitzen, das all die Stimmen des Salonorchesters auf sich vereinigte. In der weiteren technischen Entwicklung der Orchestrien wurden auch die Klangunterschiede zum Orchester immer geringer. Selbst eine Violine konnte man durch eine Orgelpfeife täuschend nachbilden und auch die Musikwidergabe durch das Orchestrion wurde zum Genuss. Für den kleinen Kaffeehaus-Besitzer konnte sich die Anschaffung eines Orchestrions schon nach wenigen Jahren amortisieren. Aber nicht nur die Kaffeehäuser schafften sich Orchestrien an, auch in Restaurants, Gaststätten, Tanzsälen, Hotelhallen und dergleichen fanden sie Eingang. Ja, sogar der wohlhabende Bürger legte sich ein Orchestrion zu und stellte es als Prunkstück in sein Wohnzimmer.
Zeitweilig gab es in Deutschland mehr als dreißig Firmen, die Orchestrien herstellten. Im Schwarzwald bestanden die Orchestrion-Fabriken vornehmlich in den Orten Unterkirnach, Vöhrenbach und Furtwangen. Bekannte Namen waren u.a. Gebrüder Blessing, Ambros Weisser vormals Hubert Blessing, Gebhard Dold, Aron Duffner, Franz Xaver Heine, Ludwig Ketterer, Johann Tritschler, R. Zähringer, Joseph Stern, E. Schmidt, Sigmund und Tobias Heizmann und Imhof & Mukle. In Freiburg befasste sich die Firma Welte u.a. mit dem Orchestrionbau.
Wegen ihrer Qualität waren außerhalb des Schwarzwaldes die Firmen Popper und Hupfeld bekannt. Einen ebenso guten Ruf genoss die Firma Weber in Waldkirch. Auch hier waren es das vortreffliche Klang-Niveau und die Violin-Stimme, die täuschend ähnlich von einer Pfeife imitiert wurde.

August Weber und die Anfänge seiner Orchestrionfabrik

August Weber entstammte einer Waldkircher Zimmermannsfamilie und wurde im Jahre 1861 in Waldkirch geboren. Schon in seinen Jugendjahren zeigte sich seine musikalische Begabung. Nach der Schulentlassung ging er bei dem Vöhrenbacher Orchestrionfabrikanten Stephan Wellenberger in die Lehre. Letzterer hatte seine Ausbildung bei Martin und Karl Blessing erhalten (4). Später arbeitete August Weber bei Imhof & Mukle und danach bei der damals weit bekannten Pfeifenbaufirma Schönstein in Villingen (1).
Schon mit 22 Jahren machte er sich selbstständig. Im Jahre 1883 entstand im väterlichen Hause in der Lange Straße 104 die Waldkircher Orchestrionfabrik. In den ersten Jahren war sein Bruder Hermann noch Mitinhaber, was zur Zusatzbezeichnung Gebrüder Weber führte. Nach kurzer Zeit schied Hermann jedoch wieder aus. Das Unternehmen blühte schnell auf. Zunächst baute August Weber kleinere Musikwerke mit Stiftwalzen, denen er bewegliche Figuren beigab. Es entstanden die sog. Illusions- und Visionsautomaten, die einzigen in ihrer Art.

Umwandlung der Firma in eine GmbH

Im Jahre 1896 wandelte August Weber seine Firma in eine GmbH um; anderen Angaben zufolge geschah dies im Jahre 1906. Die Schokoladenfabrik Stollwerck, aus Köln war Hauptinhaberin der Deutschen Automatengesellschaft Stollwerck & Co. Sie trat im Jahre 1898 als Inhaberin bei der Firma Gebrüder Bruder ein (3). Sie lieferte auch Figurenwerke für mechanische Orchestrien. August Weber stand der neuen Firma Gebrüder Weber GmbH als Direktor vor.Die Firma erhielt nun einen starken Auftrieb und erwarb großes Ansehen, auch im Ausland. Man arbeitete um die Jahrhundertwende von 6.30 bis 19 Uhr mit Arbeitspausen von 9.15 bis 9.30, 12 bis 13 Uhr und 15.45 bis 16 Uhr. Die großen Verkaufserfolge zwangen zu einer Vergrößerung der Betriebsstätten. Das war aber in der Lange Straße nicht mehr möglich. So richtete man in der Bismarckstraße 3 ein neues Betriebsgebäude ein.

Das neue Fabrikationsprogramm

Mit dem Umzug stellte die Firma auch auf ein neues Fabrikationsprogramm um. Während zuvor sog. Pfeifenorchestrien gebaut wurden, die vornehmlich Pfeifenwerke enthielten, brachte man nun die Piano-Orchestrien heraus. Bei ihnen kam zu den Pfeifen noch ein Klavier hinzu. Die Firma Weber bemühte sich um die Entwicklung einer Pfeife, die den Klang einer Violine täuschend ähnlich wiedergeben konnte. Auf diese Weise entstand das Orchestrion Violano, ein Klavier mit imitierter Geigenbegleitung. Diese Violinen-Nachbildung fand auch bei weiteren Orchestrien Eingang. Den Gewichtsantrieb ersetze die Firma Weber durch den elektrischen Antrieb. An die Stelle der Stiftwalze trat, verbunden mit einer pneumatischen Steuerung und der Anwendung eines Gleitblocks, der Faltkarton und später das Lochband. Ferner sah man eine gleichmäßig aufsteigende, übersichtlich aufgebaute chromatische Skala vor.
Besonders bekannte Orchsestriontypen waren Erato, Euterpe, Graziella, Grandezza, Unika, Otero, Styria, Solea und Maesto. Ferner entstand das Kino-Violano, das zur Stummfilm-Begleitung gedacht war.
Schließlich baute Weber noch das Orchestrion Elite, von dem aber nur drei Stück das Werk verließen. Zum Erreichen einer Fertigung in Serie bot die Firma nur bestimmte Typen an und ließ sich auf Sonderwünsche nicht ein. Kundenwünsche konnten jedoch bei den von hinten beleuchteten Bildtafeln geäußert werden, die sich in dem oberen Teil der Orchestrien einsetzen ließen. Sie waren mit allerlei Lichteffekten ausgestattet und zeigten bewegte Objekte, wie z. B. Springbrunnen, Luftballone, Wasserfälle, Eisenbahnzüge u. dergl.

Die Firma unter Otto Weber

Im Jahre 1918, das durch das Ende des Ersten Weltkrieges gekennzeichnet war, starb August Weber im Alter von 57 Jahren. Unter seinen Kindern gab es nur einen Sohn, nämlich Otto, der im Jahre 1898 geboren wurde und eine gute technische und musikalische Ausbildung erhielt. Im Ersten Weltkrieg musste er an die Front. Dort erfuhr er vom Tod seines Vaters. Aus dem Krieg zurückgekehrt, führte Otto das Unternehmen weiter. Seine Schwester Emma heiratete Carl Jäger, der dem technischen Teil des Unternehmens vorstand (1). Er intonierte auch die Violinpfeifen und war stets bemüht, sie zu verbessern. Der Geschäftsführer Franz Grafmüller war für die kommerzielle Seite des Unternehmens verantwortlich.
Wichtige Aufgaben hatten in der Musikwerke-Industrie die Arrangeure und Notenzeichner. In der Anfangszeit des Unternehmens befasste sich hiermit der frühere Freiburger Theatermusiker Huber (1). Später besorgten Otto Kern und Gustav Bruder diese Arbeit.
Nach 1918 kamen die Orchestrien als Stilmöbel heraus. Kleinere Werke hatten auch ein Handspielklavier. Als Toninformationsträger dienten fortan Lochbänder. In einem besonderen Ausstellungssaal ließen sich die einzelnen Modelle vorführen. Man zollte den Weber-Orchestrien überall große Anerkennung und lobte ihre solide Bauweise. Die gute Imitation der Violine fand viele Bewunderer. Lob erhielten auch die guten Arrangements der Musikstücke.
Der Absatz war erstaunlich gut, und manche Vertreter sollen ganze Eisenbahnwaggonladungen erhalten haben. Die Anzahl der Beschäftigten stieg auf über 70 an. Besonders erfolgreiche Auslandsvertretungen waren in Bulle am Genfer See und die Firma Gerard in Brüssel. Im Jahre 1923 feierte man das 40jährige Bestehen der Firma (5). Jeder bekam 25.000 Mark. Man wird über die Höhe des Betrages zunächst erstaunt sein, doch herrschte zu jener Zeit Inflation, und der Betrag entsprach in Wirklichkeit nur zwei Stundenlöhnen.
Während der Weltwirtschaftskrise ging es der Firma zunächst noch verhältnismäßig gut. Das Ende kam überraschend, als ein Großkunde plötzlich seine Zahlungen einstellte. Das war im Jahr 1931. Mit den Bau von Plattenspielern und Lautsprecheranlagen sollten Entlassungen vermieden werden. Aber diese Bemühungen blieben erfolglos. Alle Mitarbeiter mussten schließlich entlassen werden. Was an Instrumenten, Werkstoffen und Werkzeugen nicht zum billigsten Preis verschleudert werden konnte, wurde verbrannt. Viele der gekündigten Mitarbeiter blieben lange arbeitslos. Otto Weber nahm eine Stellung bei seinem Schwager in der Kraftfahrzeugbranche an und zog dazu nach Heidelberg (3). Dort starb er im Jahre 1973.
Übrigens: Orgelbaumeister Heinz Jäger führt als direkter Nachfahre von August Weber (Gebr. Weber, Orchestrionfabrik) die familiäre Tradition des Instrumentenbaus in der Orgelfabrik Jäger & Brommer in Waldkirch fort.

Schrifttum:

(1) Rambach Hermann und Wernet Otto Waldkircher Orgelbauer, Waldkirch 1984.
(2) Wetzel Max: Waldkirch im Elztal, Waldkirch 1923.
(3) Wernet Otto: Waldkircher Orgelfabrik Gebr. Weber GmbH in: Das mechanische Musikinstrument (1978) Nr. 11,S. 27/31.
(4) August Weber in: Deutsche Instrumentenbauzeitung (1918) S.149/159 und Zeitschrift für Instrumentenbau, Bd. 38 (1917/1918) S. 377/78.
(5) Zum 40jährigen Geschäftsjubiläum der Firma Waldkircher Orchestrionfabrik Gebr. Weber GmbH in Waldkirch i. Br. in: Zeitschrift für Instrumentenbau, Bd. 43 (1922/23) s. 1035/1036.
(6) Bowers, David O.: Encyclopedia of automatic musical instruments. Vestal N.Y. 1973.
(7) Grymonprez, Leonard: Gebr. Weber GmbH ñ Orchestrionfabrik - Waldkirch i.Br. in: Het Pierement Bd. 27 (1980) Nr.4, S. 155/57.